Lesezeit: 11 Minuten
Interview mit israelischem Unterhändler Yair Hirschfeld

»Oslo war kein Friedensabkommen«

Interview
Interview mit israelischem Unterhändler Yair Hirschfeld
Der israelische Premierminister Jitzchak Rabin, US-Präsident Bill Clinton und PLO-Chef Yasser Arafat im September 1993. Vince Musi / The White House

Ein Gespräch mit dem Historiker Yair Hirschfeld, der das Oslo-Abkommen von 1993 maßgeblich mitformulierte, über Geheimhaltung gegenüber den Amerikanern, einen erratischen Arafat – und die Geschichte hinter dem berühmten Handschlag.

zenith: Die Gespräche über einen Frieden zwischen Israel und der PLO liefen über Jahre in den USA – der diplomatische Durchbruch gelang aber erst in Norwegen.

Yair Hirschfeld: Israel hatte seit 1989 sehr ernsthafte Verhandlungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) geführt. Wenige Jahre später waren die Gespräche in den USA dennoch festgefahren. Anfang Dezember traf ich Abu Alaa', den Vertreter der PLO, in Großbritannien, und im Januar begannen wir den Dialog in Norwegen.

 

Wie kam dieser Kontakt mit Abu Alaa' zustande?

Meine Hauptkontaktpersonen waren Faisal Husseini und Hanan Ashrawi. Hanan Ashrawi rief einen Mann namens Akram Haniyeh in der PLO an, und der bat Abu Alaa', sich mit mir in Verbindung zu setzen.

 

Wann kam Norwegen ins Spiel?

Die Norweger traten im Mai 1992 mit uns in Kontakt. Es war ihnen ernst, und sie boten mir Hilfe an, als ich sie brauchte. Diese ersten Treffen fanden aber in London statt. Zufälligerweise traf ich den Diplomaten Terje Rød-Larsen in London. Ich fragte ihn, ob er helfen kann, sollte das Treffen mit Abu Alaa' positiv verlaufen. Und das tat er auch.

 

»Man baut Vertrauen nicht auf, indem man guten Wein aufbietet. Man testet sich gegenseitig. Man prüft, ob man es ernst meint«

 

Wann haben Sie beschlossen, mit den Norwegern nach Oslo zu gehen?

Eigentlich schon am nächsten Tag. Nach dem Treffen mit Abu Alaa' in London ging ich zu Yossi Beilin, dem stellvertretenden israelischen Außenminister, der zur gleichen Zeit in der Stadt war. Ich brauchte Rückhalt, um sagen zu können, ob ein weiteres Treffen sinnvoll wäre. Noch am selben Abend trafen wir uns im Hotel Ritz. Es wurde viel getanzt, es war sehr laut. Nachdem wir uns die ganze Zeit anschreien mussten, um etwas zu verstehen, beschlossen wir, nach Norwegen zu fahren.

 

Wie haben die Norweger versucht, eine für Verhandlungen geeignete Atmosphäre zu schaffen?

Dafür brauchte ich die Norweger nicht. Wenn man 13 Jahre lang Vertrauen aufbaut und mit den Menschen arbeitet, dann weiß man, wo ihre Grenzen liegen. Man baut Vertrauen nicht auf, indem man guten Wein aufbietet. Man testet sich gegenseitig. Man prüft, ob man es ernst meint. Bei Verhandlungen geht es darum, dass Menschen, die sich gegenseitig bekämpfen, zueinanderkommen und miteinander sprechen.

 

Wer war für die Geheimhaltung der Gespräche verantwortlich?

Die Gespräche waren legal, aber es war wichtig, dass sie geheim blieben. Viele Leute wussten am Ende Bescheid, aber alle hielten dicht. Wenn man so verhandelt, muss man deutlich machen, zu welchen Zugeständnissen man bereit ist – auch ohne eine Gegenleistung. Das ist eine sehr prekäre Situation, denn wenn der Verhandlungsstand öffentlich würde, könnten alle Seiten Probleme bekommen.

 

Wie skeptisch waren die Verhandlungsführer?

Die Palästinenser wollten unbedingt ein Abkommen. Bevor wir uns in Norwegen trafen, erhielt ich von Hanan Ashrawi ein Papier mit 13 Forderungen. Ich wusste, dass die israelische Regierung keine davon akzeptieren konnte. Dann machte Abu Alaa' gleich zu Beginn zwei Vorschläge: Wir sollten mit dem Gazastreifen beginnen und einen Marshallplan aufstellen. Wir hatten das Gefühl, darauf ließe sich aufbauen.

 

»Aus diesem Grund wollte er die PLO nicht anerkennen. Aus rechtlicher Sicht war ein solcher Schritt aber notwendig«

 

Wann fühlten Sie sich bereit, die offizielle Seite einzubeziehen?

Rabin unterstützte den Oslo-Prozess. Er wollte, dass die Palästinenser die Verhandlungen in Washington wieder aufnehmen, ohne sich mit den Hamas-Leuten einzulassen, die in den Libanon verbannt worden waren. Ich überzeugte Abu Alaa', Arafat zu diesem Schritt zu überreden. Ende April wurden die Verhandlungen in Washington wieder aufgenommen. Damit war der Weg frei für den Einzug der offiziellen
Vertreter unserer Verhandlungsseite, Uri Savir und Yoel Singer.

 

Wie wichtig war es für Arafat, den Machtkampf innerhalb seiner Organisation nicht zu verlieren?

Wir wussten, dass alles, was Faisal Husseini und Hanan Ashrawi zusagen würden, von Arafat überprüft werden würde. Er gab entweder grünes oder rotes Licht. Meistens letzteres. Bei den Verhandlungen in Madrid 1991 musste die palästinensische Delegation jeden Tag oder mindestens zweimal in der Woche nach Tunis fliegen, um von Arafat Anweisungen zu erhalten. Er spielte verschiedene Gruppierungen gegeneinander aus und hat oft sein Wort gebrochen, neue Forderungen gestellt oder gegebene Zugeständnisse zurückgenommen. Damit mussten wir umgehen.

 

Wie oft drohten die Verhandlungen zu scheitern?

Am 6. Juli erzielten wir fast eine Einigung. Aber wir hatten noch nicht das Okay aus Jerusalem. Als wir zurück nach Norwegen kamen, fingen die Palästinenser wieder ganz von vorne an. Sie stellten 25 oder 30 Forderungen, die alle über die roten Linien hinausgingen, die ich festgelegt hatte. Uri Savir tat klugerweise zwei Dinge. Er brach die Verhandlungen ab, hielt aber den Kontakt zu Abu Alaa' aufrecht. Er sagte ihm: »Komm zurück, räume das Chaos auf und teile uns deine Forderungen mit. Dann sagen wir ja oder nein.« Ich habe die ganze Nacht mit ihm verhandelt, um einen Vorschlag auszuarbeiten, der keine unserer roten Linien überschritt.

 

Wie stand es um die Thematik der gegenseitigen Anerkennung?

Schimon Peres war dagegen und ich auch. Er schlug vor, dass Arafat und ein Teil der PLO Führung nach Gaza und ins Westjordanland zurückkehren. Er wollte mit einer palästinensischen Führung vor Ort über ein Zusammenleben verhandeln, nicht mit den Exil Politikern. Aus diesem Grund wollte er die PLO nicht anerkennen. Aus rechtlicher Sicht war ein solcher Schritt aber notwendig – den Hinweis gab übrigens der Jurist in unserem Team, Yoel Singer.

 

»Alle offenen Fragen blieben weiter unbeantwortet. Wir haben zu hohe Erwartungen geweckt«

 

Sowohl Arafat als auch Rabin mussten während dieses Prozesses eine Art Rollentausch vollziehen. Wie konnten sie diesen Schritt öffentlich vermitteln?

Rabin hat den Fehler gemacht, zu viel zu versprechen. Er sprach von einem Friedensabkommen. Alle Journalisten und alle Clintons dieser Welt behaupteten, wir hätten jetzt Frieden. Aber es handelte sich ja eben nicht um ein Friedensabkommen, sondern um eine Vereinbarung darüber, wie weiterverhandelt werden sollte. Alle offenen Fragen blieben weiter unbeantwortet. Wir haben zu hohe Erwartungen geweckt.

 

Und die palästinensische Seite?

Das Problem bei den Verhandlungen bestand darin, dass wir den Palästinensern alles bieten konnten, aber die Palästinenser uns nichts. Wir brauchen Sicherheit in der Region. Die Palästinenser haben nicht die Macht, sie zu gewähren. Sie haben keine Kontrolle über die arabischen Staaten, Iran, die Hamas und all die anderen Terrorgruppen. Deshalb schrieb ich 1992, dass wir nach der Selbstverwaltung eine Sicherheitsorganisation für den Nahen Osten brauchen, sowie eine Nahost-Gemeinschaft für Wasser, Energie, Handel und Tourismus.

 

Wie groß war die Hoffnung, dass die Gewalt von palästinensischer Seite ein Ende finden würde?

Die vermeintliche Logik von Oslo hat sich nicht bewahrheitet. Sie lautete: Wenn Arafat die Terrorgruppen nicht in den Griff bekommt, wird Israel eingreifen. Dann wird Arafat politisch an Ansehen verlieren. Entweder kümmert er sich darum, oder er wird gestürzt. Ich bin zweimal zu Arafat gegangen und habe ihn gebeten, doch um Himmels willen gegen die Hamas vorzugehen. Einmal schrie er mich an und sagte: »Du kümmerst dich um deine Angelegenheiten und ich mich um meine!« Nach zwei Terroranschlägen im März 1996 rief Arafat mich an und sagte: »Bitte sagen Sie Peres, dass ich jetzt alles tun werde, um die Terroristen zu bekämpfen.« Ab März 1996 begann dann eine sehr enge Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit.

 

Wie haben die Amerikaner auf die Verhandlungen reagiert?

Im Mai 1993 ließ ein amerikanischer Diplomat gegenüber Larsen durchblicken, dass er über die Geheimgespräche Bescheid weiß. Wir meldeten das nach Jerusalem. Infolgedessen durfte ich den Amerikanern nichts mehr berichten. Von Mai an wussten die Amerikaner also nicht, was vor sich ging. Als wir das Abkommen im August abschlossen, unterstützten sie es dennoch.

 

»Es war das erste Mal, dass sie aufeinandertrafen«

 

Und Bill Clinton stand schließlich bilderwirksam Pate für den berühmten Handschlag. Wie war die Stimmung zwischen Rabin und Arafat? War es das erste Mal, dass sie sich persönlich trafen?

Anstatt zu erklären, dass er aus gutem Grund die PLO zur Unterzeichnung brauchte, hat Arafat Rabin vor vollendete Tatsachen gestellt. Einen halben Tag lang wussten wir nicht, ob die Zeremonie überhaupt stattfinden oder Rabin abreisen würde. Er entschied sich zu bleiben. Ich denke, das war richtig. Deshalb erscheint der Handschlag auf den Videoaufnahmen so zögerlich. Es war das erste Mal, dass sie aufeinandertrafen.

 

Inwiefern unterschied sich Oslo von den Verhandlungen in Camp David 1978?

Der Unterschied zwischen Sadat und Arafat ist gewaltig. Sadat hat die Hand ausgestreckt und das Abkommen möglich gemacht, Begin hat es mitgetragen. Ein Rahmenabkommen mit einem Staat und seinem Oberhaupt zu unterzeichnen, ist einfacher als ein Vertragswerk zwischen einem Staat und einer revolutionären Organisation.

 

Was bleibt von Oslo nach 30 Jahren?

Der Oslo-Prozess hat zu einer Spaltung der israelischen Gesellschaft geführt. Die Religiösen waren nicht an den Verhandlungen beteiligt. Einige Gruppen sind überzeugt, dass wir das gesamte Westjordanland kontrollieren müssen. Aber Oslo bereitete den Weg für den Frieden mit Jordanien und ebnete den Weg für eine Verständigung mit den Palästinensern. Es schuf die Palästinensische Autonomiebehörde, die grundlegend für die Verständigung darüber ist, wie wir hier leben wollen. Nachdem wir die Verhandlungen in Norwegen abgeschlossen hatten, haben wir an einem umfassenden Konzept gearbeitet, um den Konflikt zu beenden. Arafat sagte uns, wir sollten das bleiben lassen. Er meinte, die Kluft sei zu groß: Anstatt eines End-Abkommens sollte ein gradueller friedensbildender Prozess eingeleitet werden. Leider sind wir ihm nicht gefolgt.

 

Wie sehen Sie die Situation heute?

Oslo ist tot, aber das Abraham-Abkommen lebt. Was ich 1992 forderte, wird heute Wirklichkeit. Das Interesse Saudi-Arabiens, Israels, der Palästinenser, Ägyptens, Jordaniens, der Vereinigten Staaten und Europas besteht darin, einen stabilen Nahen Osten zu schaffen und die Handelswege vom Indischen Ozean und dem Arabischen Golf aus aufzubauen. Das eröffnet die Möglichkeit, eine starke staatliche Wirtschaftsstruktur in den palästinensischen Gebieten aufzubauen und hierbei Vorbedingungen zur Erneuerung von Friedensverhandlungen zu schaffen.


Yair Hirschfeld, 79, ist studierter Historiker und hat an der Universität Haifa Geschichte gelehrt. Seit Anfang der 1980er-Jahre beriet er die israelische Regierung zum Friedensprozess und gilt als einer der Architekten des Abkommens von Oslo.

Von: 
Wenzel Widenka

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.