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Bildung in Ägypten

Bücher auf Rädern

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»Früher empfanden die Kinder Lesen als lästige Pflicht. Nun kommen sie nach der Lektüre zu mir und erzählen mir, was sie alles gelesen haben«, sagt Adel Hegy.
»Früher empfanden die Kinder Lesen als lästige Pflicht. Nun kommen sie nach der Lektüre zu mir und erzählen mir, was sie alles gelesen haben«, sagt Adel Hegy. Foto: Goethe-Institut Kairo / Alexandra Wey

Mobile Bibliotheken in Ägypten wecken bei Kindern den Spaß am Lesen. Die jungen Leserinnen und Leser bestimmen das Angebot im Bücherbus mit.

Unmittelbar außerhalb der ägyptischen Küstenstadt Alexandria fährt ein seltsam bunter Bus eine Schotterstraße hinunter in das marginalisierte Viertel Kafr Ashry. Auf der Rückbank des mobilen Bibliotheksbusses stapeln sich Hocker, Tische, Stifte und vor allem Bücher.

 

»Die Kinder freuen sich jeden Monat darauf«, sagt Haytham Shokry, Koordinator des Bibliotheksbus-Projekts des Goethe-Instituts. Er verbringt über die Hälfte des Monats auf Tour mit der riesigen Büchersammlung. Er pendelt zwischen verschiedenen Städten und Dörfern und versucht, seine Liebe zum Lesen zu vermitteln. Das Projekt soll durch Spiele, Leseübungen und Geschichtenerzählen Schülerinnen und Schüler auch außerhalb des Klassenzimmers zum Lesen anregen. Und das in einem Land, in dem Lernen meist Auswendiglernen heißt in dem laut Zahlen der Regierung die Abbruchquote in der Sekundarstufe bei über 30 Prozent liegt und über 25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Analphabeten sind.

 

»Wir wollen, dass die Sammlung das Interesse der Kinder widerspiegelt« 

Als der Bus in Kafr Ashry ankommt, stellen sich um die achtzig Kinder im Alter von fünf bis elf geduldig an und warten, dass die Bibliothek ihre Türen öffnet. »Früher war Lesen eine Pflicht für sie. Jetzt lesen sie Bücher und erzählen mir von den Geschichten, die sie gelesen haben«, sagt Adel Hegy, der die Organisation dieser monatlichen Besuche für seine Nachbarschaft übernommen hat. »Es hat nichts mit dem zu tun, was sie in der Schule machen.«

 

Der 44-jährige Hegy, von Beruf Schmied, bewegt sich durch die Menge wie ein Maestro, nach links und rechts zeigend, und teilt die Kinder in Gruppen auf. Binnen weniger Minuten sind aus der aufgeregten Kinderschar kleine, ruhige Grüppchen geworden, die vorsichtig in das Buch schauen, das ihnen gegeben wurde. Die Jüngeren bekommen Würfelpuzzles und Malbücher. Am Ende des Besuchs kommen die Gruppen zum Geschichtenerzählen zusammen.

 

Ein Netzwerk des Vertrauens

 

In Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen hat die mobile Bibliothek seit 2013 über 50.000 Kilometer zurückgelegt und über 60.000 Kinder an 20 Haltestellen besucht. Der Bibliotheksbus besucht nicht nur Dörfer und Wohnviertel in marginalisierten Gebieten, sondern arbeitet auch direkt mit Schulen, Kinderkrankenhäusern, Waisenhäusern und anderen Organisationen zusammen, die sich um die Bedürfnisse von Kindern kümmern.

 

»Es geht aber nicht um Quantität, sondern um die Qualität der Erfahrung«, erklärt Shokry, der das Programm für jeden Besuch persönlich entwirft und durchführt. Als das Projekt startete, war jeder Besuch, der typischerweise zwei bis drei Stunden dauert, auf 30 Kinder begrenzt. Aufgrund des überwältigenden Interesses in allen Altersgruppen warfen sie diese Obergrenze über Bord, berichtet Shokry. An manchen Orten nehmen bis zu 300 Kinder teil. »Wir wollen, dass die Sammlung das Interesse der Kinder widerspiegelt«, sagt Shokry und notiert eine Liste von Buchtiteln, die die Kinder sich gewünscht haben.

 

Dank der monatlichen Besuche entsteht ein Netzwerk des Vertrauens und der Kontinuität. Der 13-jährige Mohammed Soliman liest gerne über Wissenschaft und hilft nun freiwillig bei der Organisation der Besuche aus. Auch seine beiden jüngeren Brüder packen mit an.


Kaffee und Bücher

 

Das Projekt »Café Libraries« stellt komplett ausgestattete Bücherregale in Cafés auf, damit Männer, Frauen und insbesondere junge Erwachsene in ihrer Freizeit Bücher lesen und zu reduzierten Preisen kaufen können.
Das Projekt »Café Libraries« stellt komplett ausgestattete Bücherregale in Cafés auf, damit Männer, Frauen und insbesondere junge Erwachsene in ihrer Freizeit Bücher lesen und zu reduzierten Preisen kaufen können.Foto: Roger Anis

In Oberägypten wurde ein weiteres Projekt gestartet, um einen einfacheren Zugang zu Büchern und Wissen zu fördern. Das Projekt »Café Libraries« stellt komplett ausgestattete Bücherregale in Cafés auf, damit Männer, Frauen und insbesondere junge Erwachsene in ihrer Freizeit Bücher lesen und zu reduzierten Preisen kaufen können.

 

Inzwischen sind die »Café Libraries« an vier Standorten zu finden: in Mallawi, Al-Minya, Beni Suef und Fayyum. Sie werden vom Goethe-Institut und seinen Partnern organisiert, dazu gehört auch die NGO »Alwanat«. Seit Projektbeginn Ende 2014 haben fast 4.000 Menschen an den Veranstaltungen der Cafés teilgenommen und es wurden über 1.300 Bücher verkauft. Die Veranstaltungen beinhalten Lesungen, Poetry Slams, Workshops, Signierstunden und Filmvorführungen, meist gerichtet an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.


Die 16-jährige Asmaa Salah studiert an der Polizeiakademie und ist vorbeigekommen, um ebenfalls zu helfen. »Ich war in den letzten Jahren oft dabei. Die Initiative hat mir geholfen, meine Interessen zu entwickeln«, sagt Salah, als sie einer Gruppe jüngerer Freunde am Bibliotheksbus zuwinkt.

 

Durch Lesen die Gemeinschaft stärken

 

Die Idee macht auch in anderen Landesteilen Schule. In Oberägypten, der südlichsten Region des Landes und jene mit den niedrigsten Alphabetisierungsraten, hat die NGO »Misr El-Kheir« das Konzept des Goethe-Instituts aufgegriffen und eine eigene Version des Lesebusses geschaffen. Die Grundidee ist dieselbe: die Liebe zum Lesen in der Gemeinschaft verbreiten und dabei Verbundenheit in der Nachbarschaft schaffen.

 

Dank der Besuche des Bibliotheksbusses in Kafr Ashry leitet Hegy nun eine kleine, behelfsmäßige Gemeindebibliothek mit Büchern, die vom Bibliotheksbus gespendet wurden. Sie richtet sich vor allem an ältere Leser ab zwölf Jahren, die ein besonderes Interesse an Romanen und Abenteuergeschichten haben, erklärt Hegy. Geschichts-, Kunst- und Sachkundebücher seien jedoch auch beliebt.

 

Dank des Bücherbusses interessieren sich nicht nur Kinder für das Lesen, sagt Shokry. »Ihre Eltern machen auch mit und fragen nach Büchern über gute Erziehung und Kinderpsychologie.«

 

Auch für Kinder, die noch zu jung zum Lesen sind, kann die Teilnahme letztendlich durch Zuhören einen großen Einfluss darauf haben, wie sie Lektüre und Lernen wahrnehmen. »Es geht darum, die Kinder für das Lesen zu begeistern«, sagt Shokry. »Hoffentlich wird es zu einer lebenslangen Leidenschaft und sie bleiben am Ball, auch nachdem der Bus die Stadt wieder verlassen hat.«

 

Erfahren Sie mehr unter: www.goethe.de/lesebus

 

Dieser Beitrag wurde unter redaktioneller Aufsicht des Magazins zenith für das Goethe-Institut betreut. Die Projekte des Goethe-Instituts im Rahmen der Transformationspartnerschaft werden durch das Auswärtige Amt gefördert.

Von: 
zenith-Redaktion

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