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Muslime und Nicht-Muslime im Dialog auf der Jungen Islam-Konferenz

»Dialog funktioniert oft nicht mehr«

Interview
Im Dialog
Nina Prasch, Projektleiterin der »Jungen Islam-Konferenz«, bei einer der Veranstaltungen des Dialog-Forums. Foto: Junge Islam Konferenz / Inka Recke

Mit Begriffen wie »Leitkultur« können Nina Prasch und Karina Toutaoui von der Jungen Islam-Konferenz wenig anfangen. Lieber bringen sie Muslime und Nicht-Muslime zusammen, um die neue deutsche Vielfalt zu gestalten. Ein Interview.

Wie sieht der Islam in Europa aus und wie sehen Muslime in Europa sich und ihre Umgebung? Dieser Beitrag ist Teil unserer begleitenden Berichterstattung zur vierten Rundes des zenith-Fotopreises.

 

Die Junge Islam-Konferenz (JIK) wurde 2011 gegründet. Waren Sie damals mit der Arbeit der Deutschen Islam-Konferenz (DIK) nicht zufrieden?

Nina Prasch: Das kann man so nicht sagen, wir hatten eher die Absicht, die DIK mit einer jungen Perspektive zu ergänzen. Wir hatten festgestellt, dass junge Muslime in Deutschland von den Debatten innerhalb der DIK kaum etwas mitbekamen und sich von den Themen dort auch nicht sonderlich betroffen fühlten. Zum anderen hatten wir die Absicht, den staatlichen und institutionellen Dialog der DIK um eine gesellschaftspolitische Perspektive zu erweitern.

 

Was meinen Sie damit?

Prasch: Beim Thema Islam in Deutschland geht ja eben nicht nur um den Staat, seine Institutionen und muslimische Organisationen, sondern das Thema betrifft den Alltag von Muslimen aber auch die Gesellschaft insgesamt. Die JIK versteht sich deshalb als eigenständiges Dialogforum für Muslime und Nicht-Muslime im Alter zwischen 17 und 25 Jahren. 

Kahina Toutaoui: Es geht uns vor allem um eine gemeinsame Perspektive. Ich selbst habe in der Vergangenheit als Delegierte der JIK an der DIK teilgenommen. Uns jüngeren Teilnehmern fiel dabei auf, dass sich unsere Realität im Alltag deutlich von der Lebenswirklichkeit älterer Teilnehmer unterscheidet. Zudem hatten damals viele den Eindruck, als wolle der Staat mit Muslimen auf der anderen Seite diskutieren. Dabei sollte quasi geklärt werden, wie Muslime zu einem Teil der Mehrheitsgesellschaft werden können. Unser Ansatz ist anders: Es geht durchaus auch um muslimisches Leben in Deutschland – aber aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive.

 

Wie sieht diese Perspektive aus?

Prasch: Wir wollen die Art und Weise  verändern, wie über den Islam diskutiert wird. Die JIK arbeitet darauf hin, dass Muslime in Deutschland zu einem ganz normalen und selbstverständlichen Teil der Gesellschaft werden. Dazu ist es wichtig, reale Konflikte anzusprechen und nach Lösungen zu suchen. Dabei gilt es, das Themenfeld nicht pauschal zu »islamisieren«.

 

Oft geht es in der Debatte nicht um Islam oder Religion

 

Was meinen Sie damit?

Prasch: Im öffentlichen Diskurs führen bestimmte Vorstellungen vom Islam häufig zur Ausgrenzung von Muslimen oder von Menschen, die als Muslime wahrgenommen werden. Oft geht es dabei aber überhaupt nicht um Religion. Gegen diesen Mechanismus stellen wir uns. Uns geht es um eine Versachlichung der Debatte im öffentlichen Diskurs. Dafür sind eine differenzierte Betrachtung und eine Sensibilisierung aller Beteiligten nötig.

Toutaoui: Außerdem geht es bei uns um eine junge Perspektive. Wir setzten eigene Themen, die junge Menschen bewegen. Natürlich können sich diese teilweise mit den Themen der DIK überschneiden.

 

Welche Themen sind das zum Beispiel?

Prasch: Das hängt davon ab, was die Teilnehmer interessiert. Grundsätzlich beschäftigen wir uns mit allen Themen, die den Islam betreffen, beziehungsweise dem Islam zugeschrieben werden. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen stehen Muslimfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus natürlich ganz oben auf der Liste. Es kommen aber auch andere Themen, wie zum Beispiel Homosexualität, Gleichberechtigung der Frau oder die Gender-Debatte zur Sprache ...

 

… das hört sich ein wenig so an, als würden Sie an einer Reform des Islams arbeiten?

Prasch: Absolut nicht. Wir wollen einen Dialog über islambezogene Themen führen, die relevant für die Gesellschaft sind. Wir haben nicht die Mission, einen deutschen oder europäischen Islam ins Leben zu rufen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir bieten lediglich den Rahmen für einen Dialog und bieten ein Forum – das Gespräch selbst führen aber die Teilnehmer.

 

Wir behandeln Moscheebau nicht aus theologischer oder verfassungsrechtlicher Sicht, sondern stellen uns die Frage: Warum führt das Thema immer wieder zu gesellschaftlichen Konflikten? 

 

Wie sieht das in der Praxis aus? Wie führt man in der JIK einen gesellschaftlichen Dialog über Themen, die den Islam betreffen?

Prasch: Nehmen wir das Beispiel Moscheebau. Verfassungsrechtlich ist klar, dass in Deutschland eine Moschee gebaut werden darf – dennoch entwickelt sich daraus häufig ein gesellschaftlicher Konflikt. Genau diese gesellschaftliche Perspektive ist das Thema der JIK. Wir behandeln den Moscheebau also nicht aus theologischer oder verfassungsrechtlicher Sicht, sondern wir stellen uns die Frage: Warum führt das Thema immer wieder zu gesellschaftlichen Konflikten?

 

Bleiben wir bei dem Beispiel: Wie lautet die Antwort?

Prasch: Das kann man nicht immer pauschal beantworten, aber oft geht es um stereotype Zuschreibungen gegenüber dem Islam, die zu einer reflexartigen Abwehr führen. Stellvertretend werden dann häufig baurechtliche Argumente vorgebracht. Noch weiter gefasst geht es natürlich auch darum, wieviel öffentlichen Raum eine Religion einnehmen darf. Wir leben in Deutschland nun mal in einer eher areligiösen Gesellschaft. Deshalb müssen solche Dinge in der Gesamtgesellschaft ausgehandelt werden.

 

Die JIK ist offen für alle muslimischen Strömungen, bis hin zu »muslimischen Atheisten«. Wie bringt man all diese Menschen, mit teils höchst unterschiedlicher Haltung, unter einen Hut?

Prasch: Es gibt bei uns tatsächlich eine riesige Diversität. Allerdings herrscht immer eine konstruktive Grundhaltung. Dies liegt natürlich daran, dass die Teilnehmer grundsätzlich am Dialog interessiert sind.

Toutaoui: Es liegt aber auch daran, dass wir keine theologischen Diskussionen führen. Wir reden aus unseren Lebensperspektiven heraus über ganz persönliche Erfahrungen. Dadurch herrscht ein sehr angenehmes Gesprächsklima, das vom gegenseitigen Zuhören geprägt ist. Es ist eine einmalige Chance, dass wir in dieser Konstellation aufeinandertreffen. Ich persönlich würde zum Beispiel ungern an einem Projekt teilnehmen, das sich ausschließlich an Musliminnen und Muslime richtet.

 

Wieso das?

Toutaoui: Bei der JIK werde ich nicht in eine Schublade gesteckt. Ich werde so angenommen, wie ich bin. Es interessiert dort keinen, ob ich zum Beispiel faste oder regelmäßig bete. Das ist meine Sache. Deshalb ist das Projekt für mich so interessant: Wir wollen muslimische Themen aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive diskutieren – dabei spielt es eigentlich keine Rolle, ob ich selbst Muslima bin ...

 

… in der JIK sind auch Nicht-Muslime willkommen.

Prasch: Nicht nur willkommen, sie gehören explizit zu unserer Zielgruppe. Wir achten darauf, dass die JIK jeweils zur Hälfte von Muslimen und Nicht-Muslimen besetzt wird. Einzige Voraussetzung ist ein Alter zwischen 17 und 25 Jahren. Abgesehen davon nimmt jede Teilnehmer als Individuum teil. Sie repräsentieren also nicht einen Verband, dem sie möglicherweise angehören.

 

40 solcher Teilnehmer trafen sich im März zur Bundeskonferenz unter dem Motto »Den Dialog flicken«. Von welchem Dialog reden wir?

Toutaoui: Es ist offensichtlich, dass die Debatten in den letzten Jahren extrem hitzig geführt wurden. Das Problem ist, dass es mittlerweile nicht mehr möglich scheint, Meinungsverschiedenheiten in Ruhe zu diskutieren.

 

Sie meinen die Debatten um die Flüchtlingskrise?

Prasch: Nicht nur. Natürlich geht es bei den Debatten auch um die Geflüchteten und um die Willkommenskultur. Doch der Dialog funktioniert insgesamt an vielen Stellen nicht mehr: Es ist innerhalb der Gesellschaft zu beobachten, dass Echoräume entstanden sind, in denen nur noch Gleichgesinnte miteinander kommunizieren – also Menschen, die ohnehin der gleichen Meinung sind. Dabei spielen auch Phänomene wie »Filterblasen« und »Fake News« mittlerweile eine große Rolle.

 

Muslime würden sich selbst möglicherweise völlig anders darstellen, wenn sie die Möglichkeit hätten.

 

Wie ist dieser Dialog kaputtgegangen?

Toutaoui: Ich glaube, es gibt eine Tendenz zur Vereinfachung – obwohl die Welt wesentlich komplexer geworden ist. Die Gesellschafft neigt dazu, Menschen zu kategorisieren. Dies widerspricht aber der Lebenswirklichkeit, in der es immer vielfältigere Identitäten gibt. Selbst eine einzelne Person besteht aus vielen unterschiedlichen Facetten. Dem stehen Stereotype gegenüber, die in erster Linie der Vereinfachung dienen. Diese Klischees werden nicht nur von den Medien ständig reproduziert, sondern auch von jedem Einzelnen im Alltag.

 

Was bedeutet dies im Fall der Muslime?

Prasch: Die Darstellung von Muslimen im öffentlichen Diskurs – insbesondere in den Medien – hat wenig mit dem zu tun, wie Muslime sich selbst wahrnehmen und definieren. Das passt einfach nicht zusammen. Muslime würden sich selbst möglicherweise völlig anders darstellen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Die Darstellung in vielen Medien lebt aber hauptsächlich von den genannten Stereotypen und Vorurteilen.

 

Dieses Problem hat aber nicht erst mit den Flüchtlingen begonnen?

Toutaoui: Nein. Viele Diskurse hätten bereits viel früher geführt werden müssen. Das ist aber kaum geschehen. Es geht zum Beispiel um die Frage, was die Gesellschaft in welcher Form mittragen kann. Ein gesellschaftlicher Dialog hat also auch früher schon relativ eingeschränkt stattgefunden …

Prasch: … man muss aber  feststellen, dass in den letzten Jahren vieles salonfähig geworden ist, bis hin zu beleidigenden Pöbeleien. Die Ursache dafür liegt natürlich nicht in der Flüchtlingskrise, aber das Phänomen der »Hate Speech« begann sehr wohl in etwa zur gleichen Zeit. Dabei spielt natürlich die Anonymität in den sozialen Medien eine große Rolle.

 

Die sozialen Medien sind schuld?

Prasch: Es muss darüber nachgedacht werden, wie man mit den sozialen Medien umgeht: Es muss auch dort eine Kommunikationskultur entwickelt werden, die den Dialog auf einer vernünftigen Ebene ermöglicht.

 

Der Streit um die Leitukultur geht in die falsche Richtung

 

Wurden diesbezüglich auf der Bundeskonferenz denn Lösungsansätze erarbeitet?

Toutaoui: Es ging bei der Konferenz nicht unbedingt darum, konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Im Fokus standen vor allem der Dialog miteinander und eine gegenseitige Unterstützung. Es gab Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen: In der Mediengruppe wurde zum Beispiel über »Fake News« diskutiert, eine andere Gruppe beschäftigte sich mit dem »Feindbild Islam«. Im Rahmen dieses Dialogs konnten offene Fragen geklärt werden, die in den einzelnen Gruppen bestanden.

Prasch: Man muss dazu sagen, dass wir die Ergebnisse unserer Konferenzen in der Vergangenheit immer einem hochrangigen Politiker – bis hin zum Bundespräsidenten – übergeben haben. Das sorgte zwar kurzzeitig für eine gewisse mediale Aufmerksamkeit, aber letztendlich war der Wirkungsgrad unserer Empfehlungspapiere äußerst gering. Heute sind wir der Meinung, dass unsere Konferenzen vor allem auf der individuellen Ebene der Teilnehmer wirken soll. Diese sollen in erster Linie selbst aktiv werden – das ist wesentlich effektiver als die Übergabe eines Papiers.

 

Apropos Spitzenpolitiker: Innenminister Thomas de Maizière hat den Begriff der deutschen »Leitkultur« vor einigen Wochen  wieder ins Gespräch gebracht. Ist das für die JIK relevant?

Prasch: Natürlich spielen Fragen wie »Was ist eigentlich deutsch?« bei uns eine Rolle – aber nicht der Slogan »Leitkultur«. Dieser Begriff hat bereits seine eigene Geschichte und ist äußerst negativ behaftet. Auch mit der aktuellen Debatte, die de Maizière mit seinem Zehn-Punkte-Plan angestoßen hat, soll eine Art Maßstab festgelegt werden, dem sich dann alle Teile der Gesellschaft unterzuordnen haben. Das kann nicht unser Maßstab sein. Was der Konsens einer Gesellschaft ist, das muss ausgehandelt werden. Dafür kann keine einzelne Person ein Zehn-Punkte-Programm aufstellen.

Toutaoui: »Leitkultur« ist außerdem keine gesamtgesellschaftliche Idee – im Gegenteil: Es wird ein kleiner Teil der Gesellschaft ausgewählt, der sich dann an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen hat. Abgesehen davon ist es doch eigentlich viel zu spät, über eine »Leitkultur« zu diskutieren. Unsere Perspektive ist moderner: Wir leben bereits in einem völlig anderen Deutschland, das mit der Wahrnehmung de Maizières nicht mehr viel zu tun hat. Wir sind zu einer vielfältigen Gesellschaft geworden und vieles an ihr funktioniert verdammt gut …

 

Was uns dort zusammenschweißt, ist die gemeinsame Aktivität oder das gemeinsame Engagement – die Religion oder die Herkunft spielen dabei in der Regel keine Rolle. 

 

Was denn zum Beispiel?

Toutaoui: Die Vielfalt zeigt sich vor allem im Alltag … Das fängt mit ganz einfachen Dingen an, wie zum Beispiel einem riesigen Speiseangebot der internationalen Küche, das wir heute in jedem Supermarkt finden. Außerdem begegnen wir unterschiedlichen Menschen auf der Straße, unser Freundeskreis setzt sich aus Menschen verschiedenster Herkunftsländer zusammen. Gerade in Deutschland gibt es unglaublich viele Vereine: Auch dort treffen völlig unterschiedliche Menschen aufeinander. Was uns dort zusammenschweißt, ist die gemeinsame Aktivität oder das gemeinsame Engagement – die Religion oder die Herkunft spielen dabei in der Regel keine Rolle. Gerade in diesem Bereich leistet die Zivilgesellschaft in Deutschland wahnsinnig viel. Es gibt viele positive Beispiele – über die muss man auch reden.

 

Wie sieht die Zukunft der JIK in Deutschland aus?

Prasch: Unsere Förderung durch die Stiftung Mercator läuft noch bis zum Jahr 2019. Natürlich werden wir unsere Themen bis dahin nicht abgearbeitet haben – deshalb muss die JIK erhalten bleiben. Wir bemühen uns um eine Förderung über das Jahr 2019 hinaus. Außerdem wollen wir unsere Arbeit auf Länderebene deutlich ausweiten und die JIK zunächst in drei weiteren Bundesländern an den Start bringen.

Toutaoui: Mittlerweile ist die JIK den Kinderschuhen entwachsen. Die Grundstrukturen unserer Organisation haben sich etabliert. Deshalb wird von unseren Teilnehmern häufig das Bedürfnis geäußert, viel mehr aktive Netzwerkarbeit zu leisten. Wir wollen vor Ort konkrete Projekte durchführen, uns gegenseitig unterstützen und mit anderen Menschen in Kontakt treten.

 

Wie sieht der Islam in Europa aus und wie sehen Muslime in Europa sich und ihre Umgebung? Dieser Beitrag ist Teil unserer begleitenden Berichterstattung zur vierten Rundes des zenith-Fotopreises 2017. Alle Infos zu Modus und Teilnahme finden Sie hier.

Von: 
Christoph Schmid

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